Wednesday, August 26, 2020

Lebensmittelpreise: Chili-con-Carne-Index sagt Ende der Inflation voraus - WELT

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Was können selbst Studenten kochen? Spaghetti in den meisten Fällen, oder auch Reis mit Gemüse, ganz sicher aber Chili con Carne. Das Gericht ist berühmt-berüchtigt unter Angehörigen aller Fachrichtungen, von den Juristen über die Philologen bis zu den Ökonomen. Letztere haben das aufgegriffen und messen mit einem Chili-con-Carne-Index die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Preissteigerung in Deutschland.

Was lustig klingt, liefert wichtige Erkenntnisse. Denn der Index gibt nun erstmals wieder Entwarnung – die Lebensmittelpreise sind nach einem rasanten Anstieg im Frühjahr zuletzt wieder deutlich gesunken. Das hat auch mit der Mehrwertsteuersenkung zu tun, die insgesamt offenbar größtenteils an die Verbraucher weitergegeben wird. Die Preissteigerungsrate ist dadurch zuletzt sogar negativ geworden. Doch ist die Inflation damit endgültig tot? Daran gibt es zumindest Zweifel. Tatsächlich könnte sie sogar bald umso heftiger zurückkehren.

Händler geben Steuersenkungen weiter

Der Chili-con-Carne-Index der Universität Hohenheim will die sogenannte gefühlte Inflation darstellen, also das, was die Menschen als Preissteigerung im Alltag erfahren, jenseits der Messung durch das Statistische Bundesamt. Dazu haben die Ökonomen einen Warenkorb aus rund 70 Zutaten erstellt, die man beispielsweise zum Kochen von Chili con Carne nutzen könnte.

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Mit Beginn der Krise im Februar begannen die Preise dafür kräftig zu steigen, in der Spitze, Mitte Mai, kostete der Warenkorb 7,5 Prozent mehr als im Februar. „Davon verbleibt gegenwärtig eine Preissteigerung gegenüber Krisenbeginn von knapp drei Prozent“, schreiben die Wissenschaftler in einem aktuellen Fazit. „Vor allem saisonales Gemüse (wie Tomaten) fiel auf das Preisniveau vom Februar zurück.“ Die Corona-Inflation, die vor allem Lebensmittel erfasst hatte, ist also inzwischen weitgehend vorüber

Quelle: Infografik WELT

Ob dies mit der Nachfrage zusammenhängt, die sich allmählich wieder normalisiert hat, oder mit der Mehrwertsteuersenkung, lässt sich im einzelnen nicht ergründen. Doch die Ökonomen beobachten auch die Preise verschiedener Online-Händler. Und dort lasse sich ein klarer Zusammenhang feststellen. „Die Steuersenkung bringt Bewegung in die Preise – und wird sehr weitgehend an die Kunden weitergegeben“, stellen sie fest.

Eine Studie des Online-Vergleichsportals idealo kam bereits Mitte Juli zu einem ähnlichen Ergebnis. Dabei wurden 2,5 Millionen Produkte aus über 1700 Kategorien analysiert, und es zeigte sich, dass die Preise nach der Mehrwertsteuersenkung im Schnitt um 1,9 Prozent gefallen waren.

Dies wirkt sich bereits auf die Inflationsrate aus. Im Juli betrug sie -0,1 Prozent – die Preise lagen im Schnitt also sogar leicht unter dem Niveau vom Juli vergangenen Jahres. Noch im Juni hatte die Rate bei 0,9 Prozent gelegen, zu Beginn des Jahres sogar bei über 1,5 Prozent.

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Die große Frage ist jedoch, ob diese Stagnation der Preise von Dauer ist, ob dahinter ein längerfristiger Trend steckt, oder ob sich das ganze möglicherweise bald ins Gegenteil verkehrt. An den Finanzmärkten immerhin scheint eine erhebliche Zahl von Anlegern auf letzteres zu tippen, was sich am steigenden Goldpreis zeigt. Das Edelmetall ist eine klassische Fluchtwährung für Inflationszeiten.

Die Machtverhältnisse bei der Preissetzung werden sich verändern

Die Mehrheit der Ökonomen hält eine solche Trendwende jedoch für unwahrscheinlich. „Wir sind immer wieder überrascht zu lesen, dass es zu einer Reflationierung kommt“, sagt beispielsweise Ruben Segura-Cayuela, Ökonom bei der Bank of America. „Wir könnten nicht heftiger widersprechen.“ Er und seine Kollegen haben ihre Prognosen für die Eurozone sogar gerade erst gesenkt. Statt 0,4 Prozent in diesem und 0,7 Prozent im nächsten Jahr, erwarten sie jetzt nur noch 0,2 und 0,4 Prozent Inflation. Und dabei gebe es eher ein Risiko für noch tiefere Werte.

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Auch Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank sieht aktuell kaum Anzeichen für steigende Preise. „Dazu bedürfte es einer hohen Kapazitätsauslastung, wodurch die Unternehmen Preissetzungsmacht erhielten“, sagt er. Derzeit seien die meisten Volkswirtschaften jedoch von hoher Arbeitslosigkeit und einer niedrigen Auslastung des Kapitalstocks geprägt. „Die meisten Firmen verzichten auf Preiserhöhungen, weil sie Marktanteilsverluste fürchten.“

Quelle: Infografik WELT

Doch er fürchtet gleichzeitig, dass sich dies bald ändern könnte. „In den nächsten Monaten ist eine Konsolidierung in Form von Insolvenzen und Übernahmen zu erwarten“, sagt er. Derzeit ist beispielsweise in Deutschland das Insolvenzrecht ausgesetzt, doch sobald dies wieder in Kraft tritt, könnte eine Pleitewelle drohen. „Die Unternehmen, die diese Phase überstehen, werden über mehr Preissetzungsmacht verfügen, weil Produktionskapazitäten vom Markt verschwinden oder stärker monopolisiert werden“, sagt de la Rubia.

Und gleichzeitig scheinen auch die Notenbanken höhere Inflationsraten anzustreben. „Die Covid-Schulden liefern einen Grund, eine gewisse Inflation zu wollen oder zu tolerieren“, sagt Kit Juckes von der Investmentbank Société Générale. Und schon an diesem Donnerstag und Freitag dürfte das Thema auf der Konferenz der Notenbanken sein.

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Diese findet üblicherweise im amerikanischen Jackson Hole statt, diesmal jedoch im Internet. Allgemein erwartet wird, dass dabei der US-Notenbankchef Jerome Powell für ein verändertes Inflationsziel plädiert, das zwischenzeitlich ein Überschießen der Preissteigerung zulässt. Und wenn die Fed sich ein Ziel gesetzt hat, dann sollte man besser nicht dagegen spekulieren, wie eine alte Börsenweisheit besagt.




August 27, 2020 at 12:05AM
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